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Ernst Thälmann

Fortsetzung

Die Erfahrung des Kapp-Putsches und der fortdauernden militärischen Bedrohungslage beschleunigten den Radikalisierungsprozess der USPD, deren Mehrheit sich im Dezember 1920 mit der KPD vereinigte. Thälmann wurde Vorsitzender der Hamburger Ortsgruppe. Gestützt auf die neue Stärke von 370 000 Mitgliedern und einer militanten Basis im Halle-Merseburger Bezirk sprach sich die Partei für ein Konzept der Offensive auch ohne Rückhalt bei der Masse der Arbeiter aus ­– „wir wollen die Revolution zwingen“. Als Polizeiverbände am 19. März 1921 in Mitteldeutschland einmarschierten, kam es zu erbitterten Kämpfen, an denen sich 150 000 Arbeiter beteiligten: Es gab mehr als 100 Tote und Tausende zu hohen Strafen Verurteilte, aber der für ganz Deutschland geplante Generalstreik kam nicht zustande. Der im Juni/Juli 1921 in Moskau stattfindende III. Kongress der Kommunistischen Internationale (Komintern), an der als Mitglied der deutschen Delegation auch Thälmann teilnahm, ging mit dem Verhalten der KPD und deren „Offensivtheorie“, hart ins Gericht. Lenin hatte schon vor dem Kongress gegenüber der zu den Gründungsmitgliedern der Partei gehörenden Clara Zetkin, mit beißendem Spott die Linie der KPD verurteilt: „Ist das überhaupt eine Theorie? Bewahre, das ist eine Illusion, ist Romantik, ja, nichts als Romantik. Deshalb wurde sie im Lande der Dichter und Denker fabriziert.“ Auf dem Kongress erteilte er der deutschen Delegation einen Kursus in Revolutionstheorie – eine Revolution könne nur gewagt werden, wenn man nicht nur die die Mehrheit der Arbeiter, sondern auch „die Mehrheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten“ für den gesellschaftlichen Umsturz gewonnen habe. Es sollte die Tragik der KPD sein, dass sie diese Lektion nie lernen würde. Das zeigte sich, als am 24. Juni 1922 der Außenministers Walter von Rathenau durch die vom Freicorps- Führer Hermann Ehrhardt gegründete und im Untergrund arbeitende „Organisation Consul“ am 24. Juli 1922 ermordet wurde. Es kam zwar zu Verabredungen mit SPD und ADGB zu einem halbstündigen Generalstreik am 27. Juni und zu weiteren Streiks am 4. Juli, aber das dann erlassene „Republikschutzgesetz“ kam ohne Beteiligung der KPD zustande. Die dann unter Führung des Hapag-Lloyd Direktors Wilhelm Cuno gebildete Regierung war die reaktionärste der bisherigen Kabinette. Als diese sich weigerte, geringfügige Rückstände der Reparationen zu begleichen, erfolgte die Besetzung des Ruhrgebiets durch belgische und französische Truppen. Die Abtrennung des Ruhrgebiets führte zu rapiden Rückgängen der Produktion und der Aufkauf großer Mengen von Devisen an der Börse durch den Großindustriellen Hugo Stinnes löste den Absturz der Währung wie die Inflation aus. Streiks von hunderttausenden Berg- und Hüttenarbeiter im Ruhrgebiet und in Oberschlesien waren die Folge. Am 12. August 1923 erzwang ein Generalstreik den Rücktritt der Regierung Cuno. Einen Tag später kam es zur Bildung einer großen Regierungskoalition aus SPD, Zentrum, Deutsche Demokratische Partei (DDP) und Deutsche Volkspartei (DVP) unter Führung von Gustav Stresemann. Der Frankfurter Parteitag der KPD im April 1924 erschien wie ein Ereignis auf einem anderen Stern. Er stand unter dem Motto „Organisierung der Revolution“. Thälmann, der mit Ruth Fischer, Arkadij Maslow und Werner Scholem in den Parteivorstand gewählt worden waren, bezeichneten als Hauptaufgaben die Produktionskontrolle, die Organisation der politischen Arbeiterräte und die Bewaffnung, all dies als „Voraussetzungen um den Kampf um die Macht“. Entsprechend standen die Reichstagswahlen am 4. Mai unter der zentralen Losung „Für Sozialismus und proletarische Diktatur“. Jetzt griff die Komintern in Person von Grigoriy Sinowjew ein und verwies auf die gravierenden Fehler der KPD – die Verweigerung der Arbeit in den sozialdemokratischen Gewerkschaften, die Auflösung der Gewerkschaftsabteilung und die stattdessen erfolgte Gründung von „revolutionären Industrieverbänden“ und, am Gravierendsten, das Fehlen jeder Form von Bemühen um Einheitsfrontpolitik im Kleinen wie im Großen. Die Folgen zeigten sich am Erschreckendsten bei der Wahl zum Reichspräsidenten im Frühjahr 1925: anstatt zu versuchen, sich mit der SPD auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen, kandidierte Thälmann entgegen den ausdrücklichen Empfehlungen der Komintern in zwei Wahlgängen und sorgte dafür, dass anstatt Otto Braun (SPD) oder Wilhelm Marx (Zentrum) im zweiten Wahlgang der ehemalige Chef der Obersten Heeresleitung, General Oskar von Hindenburg, zum Reichpräsidenten gewählt wurde.

Die KPD war durch dieses linksradikale Sektierertum so isoliert, dass die Komintern eingriff. Sie sorgte dafür, dass die Exponenten dieses Kurses, Ruth Fischer und Arkadij Maslow, aus der Führung entfernt wurden und Thälmann mit einer Delegation der Partei im August nach Moskau reiste, um dort eine Kurskorrektur vorzunehmen. Sie war als „Offener Brief“ an die KPD adressiert und wurde dort intensiv diskutiert. Als zentrale Fehler wurden die fehlende Arbeit in den Gewerkschaften, das gestörte Verhältnis zu den noch mit der SPD sympathisierenden Arbeitern und die Unterlassung jeglicher Einheitsfrontpolitik genannt. Hier erfolgte die erste Korrektur. 1925 hatten das ehemalige Kaiserhaus und der Hochadel als Ersatz für ihre nach der Niederlage von 1918 beschlagnahmten Ländereien und Schlösser eine Staatliche Entschädigung in Höhe von 2,6 Milliarden Mark verlangt. Am 25. November 1925 Brachte die KPD im Reichstag einen Gesetzesentwurf ein, in dem gefordert wurde, die großen Güter an Kleinbauern zu verteilen, aus den Schlössern Kinder- und Genesungsheime zu machen und die Millionen Barvermögen an Kriegsbeschädigte und -hinterbliebene zu verteilen. Die am 2. Dezember an SPD und ADGB gerichtete Einladung zur Unterstützung dieses Antrags blieb zunächst unbeantwortet, führte aber wegen der immensen Zustimmung an der Basis dazu, dass die SPD sich Mitte Januar der Forderung nach Enteignung anschließen musste und den ADGB beauftragte, mit der KPD Kontakt aufzunehmen. Schon am 25. Januar 1926 lag ein gemeinsamer Gesetzesentwurf vor. Durch einen Schachzug der Reichsregierung wurde zwar die Gesetzesvorlage für verfassungsändernd erklärt, was bedeutete, dass nicht die Mehrheit der Abstimmenden, sondern die Mehrheit der Abstimmungsberechtigten, also 20 Millionen Stimmen, für die Annahme erforderlich waren. Weil nur 14,4 Millionen Stimmen abgegeben wurden, scheiterte das Gesetz. Aber dieses Ergebnis bedeutete, dass bei der „Fürstenenteignung“ 4 Millionen Stimmen mehr für SPD und KPD abgegeben worden waren als diese bei den letzten Reichstagswahlen zusammen erzielt hatten. Zu einer Fortsetzung dieser erfolgreichen Politik kam es aber nicht, weil sich schon bald die ersten Anzeichen einer Weltwirtschaftskrise bemerkbar machten. Beim VI. Weltkongress der Komintern in Moskau im Sommer 1928 diagnostizierte Nikolaj Bucharin, dass es in der Folge zu einer Reihe von „revolutionären und semirevolutionären Kämpfen“ kommen werde, die aber noch nicht zu einem Kampf um die Macht führen würden. Genau dieser aber war die These, die Thälmann vertrat. Er sah nur Momente der Erschütterung der bestehenden Weltordnung und erwartete eine weltweite Radikalisierung der Arbeiterschaft. In Deutschland diagnostizierte er zudem eine Entwicklung des Reformismus bei SPD und deren Gewerkschaften zum „Sozialfaschismus“. Weil Stalin, der um die Nachfolge des 1924 verstorbenen Lenin kämpfte, diese Einschätzung teilte, wurde diese Linie in der Endphase der Weimarer Republik auch zur Grundlage der Politik der KPD. Dass diese politische Spaltung in einer Phase erfolgte, wo genau das Gegenteil – der Zusammenschluss aller fortschrittlichen Kräfte – nötig gewesen wäre, ist die historische Tragödie. Ein Beispiel dafür waren die Ereignisse um den 1. Mai 1929 in Berlin. Als der Polizeipräsident Zörgiebel das Demonstrationsverbot am 1. Mai 1929 nicht aufhob und die von der KPD ausgerufenen Demonstrationen mit Waffengewalt zusammenschießen ließ, errichteten die Kommunisten in den von ihnen dominierten Stadtteilen Barrikaden, um die es zu bewaffneten Kämpfen kam. Da die Entwicklung der SPD vom „Reformismus zum Sozialfaschismus“, vom „Verrat“ zur „physischen Vernichtung“ der Arbeiterklasse abgeschlossen sei, so die Deutung der KPD, stehe „die Frage des bewaffneten Aufstands unverzüglich auf der Tagesordnung“. Was notwendig gewesen wäre, der Kampf um die Erhaltung der Demokratie als Etappe im Kampf gegen den rasant wachsenden Hitlerfaschismus, wollten die Kommunisten nicht sehen, weil sie an der noch bestehenden Demokratie nichts zu verteidigen fanden. Thälmann stellte im Februar 1930, als die letzte, von dem Sozialdemokraten Hermann Müller geführte Regierung im Amt war, stellte Thälmann fest, dass „in Deutschland der Faschismus herrscht“. Und als Müller im März durch den Vertreter der katholischen Zentrumspartei, Heinrich Brüning abgelöst worden war, meldete das Parteiorgan „Rote Fahne“: „Die faschistische Diktatur droht nicht mehr, sondern sie ist bereits da.“ Die Komintern kam 1931 zu derselben Fehleinschätzung: „Der Faschismus wächst organisch aus der bürgerlichen Demokratie empor. [Er ist] keine neue Regierungsmethode, die sich von dem System der Diktatur der Bourgeoisie unterscheidet.“ Kein Zweifel, die KPD wollte nach der Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 den Kampf gegen den Faschismus, sie organisierte ihn und zahlte dafür den höchsten Blutzoll. Aber da es ihr nicht gelungen war, sich vorher mit der SPD zu verbünden, stand sie der Errichtung der offenen faschistischen Diktatur wehrlos gegenüber. Clara Zetkin, die an der 1916 innerhalb der SPD erfolgten Gründung des oppositionellen „Spartakusbundes“ beteiligt war und am 1. Januar 1919 zu den Gründungsmitgliedern der KPD gehörte, antwortete 1932 in einem Brief an eine Freundin auf die Frage, ob Thälmann die Eignung zum Führer der Partei gehabt habe so: „Thälmann hat persönliche Eigenschaften für diese Aufgabe, [aber er muss] eine gute beratende Körperschaft zur Seite haben, der reifste Theoretiker, erfahrene Praktiker und charakterfeste Persönlichkeiten angehören und die ganz kameradschaftlich zusammen arbeiten.“ Sein Unglück war, dass er als Vorsitzender der KPD einen solchen Stab über einen längeren Zeitraum nie besessen hatte. Und sein Schicksal nach der faschistischen Machtergreifung war eine Tragödie. Thälmann sollte seinen Kampf gegen den Faschismus vom Ausland aus fortsetzen. Seine illegale Abreise aus einem Versteck außerhalb Berlins war auf den 5. März datiert. Weil er aber möglichst lange in Kontakt mit der Spitze seiner Partei bleiben wollte, hielt er sich in einer illegalen Wohnung in Berlin auf, wo ihn Denunzianten verrieten. Am 3. März wurde er verhaftet und in das Berliner Untersuchungsgefängnis Alt Moabit überführt. Da die NSDAP den ursprünglich geplanten Schauprozess nicht durchführte, wurde er 1937 ins Gerichtsgefängnis Hannover verbracht. 1943, nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad, verlegte man ihn nach Bautzen. Im Frühjahr 1944 wurden seine Frau und seine Tochter ins KZ Ravensbrück eingeliefert. Thälmanns letzte Station war das KZ Buchenwald: Am 17. August hatte man ihn in einem PKW dorthin transportiert. In der folgenden Nacht wurde er im Krematorium von Gestapobeamten mit vier Schüssen ermordet.