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Als ich neun Jahre alt war, kam der Krieg

 
 

Deutsches Schauspielhaus Hamburg 1981/1982

Buch und Regie: Hannes Heer
Bühne und Kostüm: Lilot Hegi

Mit Traugott Buhre und zehn Hamburger Schülerinnen und Schülern
Premiere: 21. März 1981

Nürnberg, 1946: ein Schulrat ordnet an, daß alle 11-16jährigen Schüler ihre Erlebnisse in der Nazizeit aufschreiben. Die Aufsätze bleiben erhalten. In der Sprache der Erwachsenen, aber ohne deren Filter von Verdrängung und Verschleierung wird berichtet: vom Reichsparteitag und dem Teddybär, vom Geländespiel und dem Tieffliegermassaker, von der Blinddarmentzündung und den einmarschierenden Amerikanern. So in ein Nebeneinander von grauenhaften und banalen Details zerlegt, wird diese Zeit, vor allem das Inferno des Krieges, erst mitteilbar und bleibt zugleich in ihren politischen Dimensionen unverstanden.

 
Rezensionen

„Wie war das eigentlich damals, als Hitler an die Macht kam, als die Väter in den Krieg zogen, als Deutschland von Bomben zertrümmert wurde? Im Malersaal kommen jetzt diejenigen zu Wort, die jene Zeit als Kinder miterlebten.
,Als ich 9 Jahre alt war, kam der Krieg‘ – unter diesem Motto steht das Programm, das Hannes Heer nach seinem gleichnamigen Buch aus Schüleraufsätzen von 1946 zusammengestellt hat. Hamburger Schüler von heute lesen die Texte der Schüler von damals: banale Berichte, erschütternde Erlebnisse, kaum verarbeitete Erkenntnisse aus einem Alltag, zu dem Angst und Not ebenso gehörten wie die kleinen Freuden.
Systematisch läßt dieser Abend im Malersaal ein Bild jener Zeit erstehen, das anfänglich die Naziherrschaft eher als Segen für das heruntergewirtschaftete Land erscheinen läßt. Dann aber – durch die Erlebnisse und Erfahrungen der Kinder – die Katastrophe immer deutlicher macht.
Ergänzt werden die Schüleraufsätze durch ,Monologe im Führerhauptquartier‘, die Traugott Buhre mit der selbstgefälligen Borniertheit eines Biedermannes zum besten gibt. Und während er den Führer über die Expansion des Deutschen Reiches, über die Minderwertigkeit der jüdischen Rasse oder über die Anstrengung des stundenlangen Stehens beim Abnehmen der Parademärsche räsonieren läßt, werden die sinnlosen Opfer, die unbeschreiblichen Schrecken um so deutlicher, die aus den Aufsätzen der Kinder sprechen. Die zehn Hamburger Jungen und Mädchen lesen sie nüchtern, sachlich, kommentarlos. Denn diese Texte brauchen keinen Kommentar. Sie sprechen für sich.”
– Hamburger Abendblatt

 

„Brav die Haare gescheitelt, zu beiden Seiten Zöpfe und die Knie unter halblangen Hosen oder züchtigen Rocksäumenb verborgen, so betreten nacheinander fünf Mädchen und fünf Jungen die Bühne des Kammerspiels. Sie nehmen Platz an zwölf Schultischen, die noch von der Art sind, daß man durch Wegklappen des Oberteils an eine Art Kasten gerät. Darin befinden sich Hefte. Was sie enthalten, ist mehr als 25 Jahre alt. Es handelt sich um Aufsätze aus dem Jahre 1946, die damals unter dem Motto erstellt wurden: „Was ich während der vergangenen sechs Jahre machte.“ Einer beginnt mit den Worten: ,Als ich neun Jahre alt war, kam der Krieg.‘
Tatsächlich sind alle zehn Hamburger Schüler, die nun im Wechsel Trauriges, Erschütterndes oder Makabres vortragen, zwischen neun und vierzehn Jahre alt. Die Sprache, in der das alles verfaßt ist, ist jedoch stark geprägt von den Ereignissen der Jahre 1939 bis 1945. Von ,Jungmädeln‘ ist da die Rede und von ,Terrorangriffen‘. Kinder werden unten im Tal noch an der Panzerfaust ausgebildet, während oben bereits die Amerikaner stehen. Der ganze Wahnsinn der Kriegsmaschinerie, die Lügen einer geschickt gesteuerten Propaganda, aber auch die falsche Romantik, die diese Art von allgemeiner Hysterie mit sich bringt, erstehen in dieser Auswahl aus rund fünftausend Niederschriften, die vor einiger Zeit im Nürnberger Stadtarchiv wiederentdeckt wurden, von neuem. Hannes Heer, Dramaturg am Hamburger Schauspielhaus verband sie zusammen mit den ,Monologen im Führerhauptquartier‘, einem Film über die Aufmärsche zum Reichsparteitag und der Musik aus ,Carmina Burana‘ von Carl Orff zu einer Collage, die an beeindruckender Authentizität kaum etwas zu wünschen übrigließ.
Besser als durch Erzählungen aus dieser Zeit konnte jeder am eigenen Leib nachempfinden, welche Suggestivkraft dieser Massenverführung damals ebenfalls innewohnte, am stärksten für diejenigen, die sich kaum je mit Politik beschäftigten oder aber gewisse Tatsachen nicht wahrhaben wollten.
Auch von der Zeit nach dem sogenannten Endsieg war die Rede, und durch einen geschickten Schachzug der Hamburger – sie verteilten ihre Programmzettel erst nach der Vorstellung – wurde den meisten der vorwiegend jüngeren Zuschauer erst nach und nach klar, wessen bornierte Ansichten (hervorragend gespielt von Traugott Buhre) da als Ergänzung zu den Aufsätzen zum besten gegeben wurden. So konnte jeder zur Genüge in sich gehen und an die eigene Brust klopfen ob der immer noch weitverbreiteten Engstirnigkeit und Desinformiertheit.“
– Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

„Nüchtern und naiv, erschreckende Sachlichkeit und kaum Emotionen. Der Freund erlitt einen ,Lungensteckschuss‘, der Vater wurde ,abtransportiert‘, das Haus ,brannte‘. Wenig wird von Wut, Angst oder Tränen berichtet. Somit liegt Heers behutsame Inszenierung – er gestaltet dieses erschütternde Dokumnent faschistischer Kindererziehung zu einer szenischen Lesung – richtig. Dermaßen große Worte, verständnislos aus Kindermund gesprochen, verfehlen ihre Wirkung beim Zuschauer nicht.
Ein Großteil des Erfolges trägt an diesem Abend auch der Schauspieler Traugott Buhre. Lapidar als ,der Alte‘ bezeichnet, ist seine Rolle durchaus in Szene gesetzt worden. Die Kinder mit Bett und Eßtisch einrahmend, liest er aus Hitlers ,Monologe im Führerhauptquartier‘, phantasiert grausig über die Juden, den Volkswagen, das 1000jährige Reich. Ein schlechtes, demagogisches Leitbild. Eine Hitler-Figur als deutscher Spießbürger, der sich abends das Heimkino anstellt und Massenaufmärsche betrachtet.
Somit geht die Aufführung über die reine Lesung weit hinaus und es bleibt zu hoffen, daß ich sowohl Jugendliche als auch Lehrer mit diesem Thema auseinandersetzen.“
– Szene Hamburg

 

„Und der Theaterabend von Hannes Heer ist die bisher geschlossendste und beste hauseigene Produktion im Rahmen der ,Malersaal‘-Versuche, uns und unser Land zu beschreiben‘. Nicht zuletzt, weil Heer auf jeglich dramaturgische Effekthascherei und Polit-Holzhammer verzichtet hat. Und gerade deswegen ist ein eindringlicher Theaterabend entstanden, der betroffen macht.“
– Hamburger Morgenpost